Donnerstag, 27. August 2009

Wenn ich die See seh brauch ich kein Meer mehr...


Ich muss zugeben, dass ich mich etwas verliebt habe. Aber keine Angst, nicht etwa in einen passablen Schweden. Muss gestehen, dass ich noch keinen wirklich hübschen und gleichzeitig sympathischen und intelligenten Typen getroffen habe. Nein, in die schwedische Westküstenlandschaft. Vom Haus der schwedischen Familie, bei der ich jetzt vorübergehend wohne, ist man in ca. 10 Minuten zu Fuß am Strand. Diese Möglichkeit nutze ich fast jeden Abend für einen herrlichen Spaziergang am Rande der Brandung. Auch zum Joggen ist dieses Plätzchen sehr gut geeignet, denn entlang der Küstenlinie erstreckt sich über 17km ein wunderschöner Wanderpfad namens "Prins Bertils Stig". Meine erste Sporteinheit darauf war geprägt von ständigem Zwangsanhalten, weil sich hinter jeder Kurve neue fantastische Plätze und Aussichten verbergen. Heute habe ich einen regelrechten Jogging-Ausflug gemacht: Bin ca. 9km entlang der Küste bis zum populären Strandörtchen Tylösand gelaufen, über diverse Hügel und vorbei an kleinen Fischerhäfen. Von Tylösand hab ich dann den Bus zurück nach Hause genommen. Tollerweise sponsert die Schule mir neben dem Mittagessen auch eine Busfahrkarte, mit der ich sehr weit raus fahren kann. Nach 2,5 Wochen Schweden kann ich also so langsam behaupten, dass ich mich schon recht gut eingelebt habe. In meiner vorübergehenden Gastfamilie fühle ich mich superwohl. Zwar freu ich mich auf mein baldiges eigenes Zimmer (momentan habe ich mein "Lager" im 1. Stock zwischen den Kinderzimmern, recht großer Flur), aber diese nette Gesellschaft und das Miterleben des schwedischen Familienalltags hat auch was. Wir sprechen nur Schwedisch und mit den Kindern würde auch nix anderes funktionieren, logischerweise lerne ich dadurch superviele neue Wörter, die man im Alltag braucht. Eine kleine Kostprobe: en macka - ein belegtes Brot/Brötchen; en långben - ein Schuster (Insekt); herregud - etwa "Herrgott nochmal"; en stekpanna - eine Bratpfanne. Sehr geehrt fühle ich mich seit heute, weil Selma und Tilda mich in ihre Wii-Spielfiguren aufgenommen haben, also sie haben eine Figur kreiert, die mir (angeblich) ähnlich sieht und Merle heißt.
In der Schule läuft alles sehr gut. Die meisten Lehrer sind sehr offen und bieten mir ständig an, in ihren Unterricht mitzukommen und sind sehr interessiert daran, wie ich Schule in Schweden im Vergleich zu Deutschland erlebe. Das sorgt täglich für spannende Gespräche beim Mittagessen, beim Kaffee im Lehrerzimmer oder direkt im Klassenraum. Ein paar Sonderbarkeiten, die mir aufgefallen sind:
  • In den Gängen hängen Lautsprecher, aus denen Popmusik schallt.
  • Wenn die Schüler in Einzelarbeit Aufgaben bearbeiten, hören viele dabei mit Ohrhörern Musik.
  • Binnendifferenzierung ist ein böses Wort in der schwedischen Pädagogikwelt. Alle auf ein gleiches Niveau bringen ist das Stichwort, d.h. gefördert werden nur die Schwachen. Nix da mit Begabtenförderung!
  • Lehrer können einfach mal so während der Schulzeit frei nehmen, wenn auch unbezahlt. Trotzdem 'ne coole Idee, die ich ziemlich absurd finde, zumal die anderen Lehrer oder Studenten/Eltern (!) dann vertreten. Unser Direktor ist grad 'ne Woche in Rom. Naja, warum auch nicht, 2 Wochen nach den Sommerferien?
Mehr solcher kleinen Geschichten rund um die Schule gibt's im nächsten Eintrag...
Jetzt wollt ihr wohl noch wissen, wie meine Arbeit in der Schule so aussieht. Offiziell muss ich 12-16h Unterricht begleiten (ganz allein ist eigentlich nicht vorgesehen, aber wir machen es jetzt so, dass wir uns die Arbeit teilen und der andere jeweils assistiert). Da die Schule nicht so riesig ist, gibt es nur jeweils einen Deutsch-Kurs pro Jahrgang. Ab Klasse 6 belegen die Schüler die 2. Fremdsprache, nachdem sie mit Englisch im 3. Schuljahr begonnen haben. In Kl. 6 stehen dann Spanisch, Französisch oder Deutsch zur Wahl. Die Deutschkurse sind in den Jahrgängen jeweils unterschiedlich groß, in Kl. 9 sind es 17, in Kl. 6 20. Das ist aber auch die normale Klassengröße in Schweden. Nur ein einziger Deutschlehrer arbeitet an der Trönningeskolan, aber der ist zum Glück ein Goldstück und freut sich über alle meine Ideen. In Klasse 6 habe ich diese Woche die ersten Schritte mit den Kleinen geübt, "Ich bin ich und Du bist Du. Ich heiße Merle, wie heißt Du?". Ich habe 99 Luftballons aufgelegt, die Schüler sind dabei durch die Klasse gelaufen und wenn die Musik stoppte, mussten sie sich gegenseitig Guten Tag sagen. In Klasse 9 führe ich im ersten Monat ein Leseprojekt durch, d.h. wir lesen unterschiedlichste Textsorten (Comics, Rezepte, Zeitungsartikel) und arbeiten mit den Texten, wobei ganz tief in die Methodenkiste gegriffen wird. Comic-Sprechblasen ergänzen, ein Rezept für Rote Grütze übersetzen, einen Einkaufszettel schreiben, anschließend in der Schulküche nachkochen und natürlich essen. Bin aber nicht nur im Deutschunterricht aktiv, sondern auch in Englisch, schaue mir aber auch Schwedisch, Heimatkunde, Mathe etc. an. Da lerne ich dann selbst viel. Das soll als kleiner Einblick in meine Arbeit erstmal genügen - mehr gibt's nach der nächsten Maus...

Oh, eins muss ich aber noch erzählen:
Letzte Woche bin ich in den Genuss gekommen, meine erste kleine Klassenfahrt zu begleiten. Es ging mit der 7A nach Marhult, ca. 30km von Halmstad entfernt. Ein altes Schulgebäude, was alle Schulen in der Kommune nutzen können. Direkt an einem See gelegen, Kanus stehen zur Verfügung - perfekt. Ich habe eine "tippspromenad" = Schnitzeljagd (das deutsche Wort hat für Schmunzeln gesorgt) organisert, sprich ich bin 1h durch einen Wald gerannt und habe Fragen an Bäume geklebt und den Weg mit orangen Zetteln markiert. Großer Sport. Erstaunlicherweise hat sich keine Zecke an mir niedergelassen. Leider war die Nacht etwas kurz aufgrund kreischender Schüler, die meinten, nachts eine Süßigkeitenschlacht organisieren zu müssen, kreischender Schüler wegen Gewitter und kreischender Mädchen wegen Angst vor dem sagenhaften "Marhult-Mann"... ansonsten war's toll. In diesem Zusammenhang eine weitere Wortschatzerweiterung: utedass - Plumpsklo. Das mussten wir in Marhult nutzen, zur großen Freude vor allem der Mädchen.
Offenbar hat sich rumgesprochen, dass ich eine gute Begleitung abgegeben habe, denn Montag hat mich schon die nächste Anfrage erreicht. :-)


Ihr merkt also - mir geht's gut hier oben. Es wäre perfekt, wenn ich nur nicht Karsten so vermissen würde. Aber der Countdown läuft und bald verlassen wir den 3-stelligen Bereich.

Bis zum nächsten Eintrag!

2 Kommentare:

  1. Schön, dass es dir gut geht!
    Schwedisch ist ja sooo lustig! Die Begegnung mit dem Plumpsklo hättest du dir doch aber auch sicher sparen können, oder etwa nicht?
    Bis bald!

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  2. Hey Merle!
    Endlich komme ich mal wieder dazu, in deinem Blog zu lesen... mann mann mann, waren die letzten tage vor fertigstellung deiner BA auch so nervenaufreibend??? (naja, bei dir kamen ja noch ein paar anere sachen dazu...) ich bin grad noch voll dabei und werde wohl das endgültige korrekturlesen noch auf korea verschieben müssen, naja...
    ich finde es soooo spannend, zu lesen, was du alles so treibst und erlebst! ist ja toll, dass es dir so gut geht da! die schul-differenzen fand ich besonderes interessant!! ich hoffe sehr bald mal dazu zu kommen, dir eine längere e-mail zu schreiben, nur im moment weiß ich gar nicht, wo mir der kopf steht. auf jeden fall fehlst du hier, das kann ich schonmal sagen!!! wünsch dir ein wunderschönes WE am Meer *ein traum*!!! Liebe Grüße, Sina

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