Ich wohne jetzt im ersten Stock eines Hauses, was einer älteren Dame gehört. Die 1. Etage vermietet sie immer an Studenten, die sich Küche und Bad teilen.
Mein Zimmernachbar ist ein 19-jähriger schwedischer Studienanfänger, und nicht wie ursprünglich angekündigt eine Sie. Meine Horrorvorstellung ist, dass er keine Ahnung hat, wie man abwäscht, wie man Essen zubereitet, ohne dass hinterher die Küche einer Grundsanierung bedarf, wie man eine Toilette putzt oder wie ein Staubsauger funktioniert. Dafür aber bestens das Feiern beherrscht. Vorurteile? Ne, ich doch nicht. Da er erst Freitag eingezogen ist und am WE zu Hause war, kann ich aber noch nicht sagen, inwiefern meine Einschätzung stimmte. Muss aber zugeben, dass ich mich ganz schön alt fühle. So als 22-jährige "Lehrerin" neben meinem 19-jährigen Studienanfänger.
Zurück zur Wohnung: In der Küche gibt es alles, was man so braucht, also perfekt für mich. Brauch nix an Geräten kaufen, sogar eine Mikrowelle gibt's. Hier seht ihr mich bei meinem ersten Abendessen in der neuen Bleibe. Polarbröd, Rührei, leckerer schwedischer Käse. Hmm. Und selbstgemachte Erdbeermarmelade von Ulrika gab's als Einzugsgeschenk.
Das Bad ist superklein und kann es in puncto Schönheit mit der Katze aufnehmen. WUNDERSCHÖNE Muscheln kleben als Borte an der Wand, ebenso an der Toilettenspülung. Mach mal ein kleines Video für Euch, das muss man gesehen haben. Tine Wittler würde erblassen vor Neid. Aber bis Weihnachten halt ich das wohl aus und finde es einfach nur lustig. Hoffentlich find ich's nicht irgendwann schön...
Die Lage meiner neuen Bleibe ist gut. In 10 Gehminuten bin ich im Zentrum, Busse fahren gleich um die Ecke, Supermärkte sehr dicht, eine Pizzeria in 50m Entfernung :-). Insgesamt bin ich also echt zufrieden. WLAN gibt's auch - freu mich über Mails und Skype-Gespräche!
Letzte Woche war hier übrigens nollningsvecka, die Feierwoche der neuen Studenten (noll= null, also null Semester). Die ganze Stadt voll mit verkleideten Studis, die sichtlich viel Alkohol konsumiert hatten. Bootsrennen auf dem Nissan (Fluss durch die Stadt) u.v.m., so sah's vom anderen Ufer aus:
In der Schule gewöhne ich mich immer mehr ein, lerne die Namen immer besser und auch die Schüler gewöhnen sich so langsam an mich. In Klasse 6 mache ich den Deutschunterricht gerade ganz allein, was sehr viel Spaß macht. Man kann jede Stunde Fortschritte erkennen und es ist ein tolles Gefühl, diese ersten wichtigen Schritte in der neuen Sprache steuern und begleiten zu können. Mittlerweile können sie schon bis 10 zählen, sich ausführlich vorstellen und haben DEN fiesen false friend kennengelernt: Bier heißt auf Schwedisch öl, Öl heißt auf Schwedisch olja. Wenn's dumm läuft, bekommt ein durstiger Schwede in einer deutschen Kneipe also ein schönes Glas feinstes Öl.
Mit den 9ern habe ich letzte Woche ein Rote Grütze-Rezept übersetzt und anschließend in der Schulküche nachgekocht. Es hat großartig geklappt und ich war ganz begeistert von den Schülern, v.a. von der vorbildlichen Aufräumkultur. Der sonst gelangweilste und unmotivierteste Schüler avancierte zum Kochtalent und schmiss hinterher noch den Abwasch für seine Gruppe. Wow. Weiter geht's diese Woche mit Comics, mal sehen, ob ich sie auch damit zum Deutschsprechen bringen kann.
Eine weitere Sonderbarkeit des schwedischen Schulsystems, die vor allem alle Lehrämter erfreuen dürfte: Bildungsstandads? Kerncurriculum? Nix da, hier gibt's ein Heft mit ein paar Zielen für jedes Fach, die aber dermaßen oberflächlich sind, dass ich deren Dasein als recht fragwürdig empfinde... Wenn man den deutschen Kompetenzdschungel kennt, dann ist das hier regelrecht rahmenlos. Ich frag mich immer mehr, warum Schweden bei PISA so gut sein konnte, denn so viel bedeutend Besseres bezüglich Wissensaneignung hab ich hier noch nicht gesehen. Im Gegenteil: Oft denke ich, dass vieles in Deutschland erfolgsversprechender ist. Aber darüber muss ich mir in den nächsten Monaten nochmal ausführlicher Gedanken machen und weitere interessante Diskussionen mit schwedischen Lehrern führen.
Jetzt seid ihr erstmal wieder upgedatet - welch schöner Anglizismus. Die schwedische Sprache hat übrigens weniger Anglizismen, so jedenfalls mein Eindruck. Oft gibt es ein schwedisches Wort, wo wir im Deutschen einfach das Englische nutzen (z.B. Comic, auf Schwedisch "serie").
Genießt den Spätsommer, der ja angeblich in D nochmal zurückkommen soll!
Koennte ruhig mal wieder jemand einen Kommentar schreiben!
AntwortenLöschenHej Merle,
AntwortenLöschenich wunderte mich schon über die Katze!
Ich finde es auch merkwürdig, dass die schwedischen Schüler bei Pisa so gut abschneiden. Vielleicht bringt aber die Schule in Schweden mehr Spaß?
Viel Glück mit deinem Mitbewohner !
Apropo Spätsommer - hier ist gerade Hochsommer.
Kram Sonja
Hej Merle,
AntwortenLöschenich bin begeistert. Das klingt doch rundherum sehr gut, wie Du es angetroffen hast. Da sehe ich bei mir doch ein paar Nachteile, die eine Metropole wie Stockholm und das Studentenleben (das richtige, nicht das als Exchange Student) mit sich bringt. Würde Dich sehr gern mal besuchen kommen, wenn sich hier die ersten Wogen glätte und ich darf :-) Ansonsten bist Du auch herzlich eingeladen, vorbeizuschauen; dann erkundige ich gern mit Dir die Stadt!
Kram,
Charlotte